dom

04

nov

2012

tangomolino- wie alles begann

El molino



an diesem Punkt wo ich war


wo man zu zählen beginnt


in alle himmelsrichtungen


habe ich meine mitte gefunden


und meine ängste gelebt


der schwindel hat mich gelähmt


vergiftet fühlte ich meine glieder


und doch ist meine seele


trotz aller irdischen lasten


bis über den himmel geflogen



 

...dieses Gedicht habe ich über "mein" molino geschrieben. Dieses dekadente Gemäuer war für Monate mein zu Hause in Bs. As. , daneben, auf der anderen Straßenseite, das Parlament. Nach den durchtanzten Nächten, mit dem Taxi durchs Morgengrauen, "Esquina Rivadavia y Callao por favor!", habe ich das schwere Tor aufgestossen und mich mit einer kleinen Taschenlampe über unzählige, hohe Stufen bis unters Dach geschleppt. "Me cuesta mi amor- te lo juro..." hab ich  meinem Tanzpartner, der viel älter war als ich, erklärt, er grinste nur und schüttelte den Kopf mit einem Blick auf meine Beine. 


La Confiteria del molino ist ein magischer Ort- einst ein strahlendes Cafe und Hotel, nun bewohnt von einigen wenigen, die sich mit den Herausforderungen solch eines Gebäudes arrangiert haben und ihre Zigarette dann doch lieber erst draußen anzünden, weil Innen an manchen Stellen die Gasleitung undicht ist.
Tatsächlich gibt es einen Aufzug, der gleiche wie in der Titanic- wie mir meine Mitbewohnerin verriet- doch hatte dieser den Geist aufgegeben einige Tage bevor ich mit meinen Überseekoffern am Fuße des reich verzierten Geländers stand und skeptisch die steilen Marmorstufen beäugte. Aber nichts auf der Welt hätte mich selbst in seine funktionierende Version gebracht, der goldene Engel, der zu Zierde dort seine Flügel über die Türen spannt, verhieß mir nichts Gutes.

Ich fand es todesmutig genug, morgens in der Dunkelheit um 4 mit dem Bus von der Milonga nach Hause zu fahren und durch die menschenleeren Straßen, stets mit festem Schritt, aber immer alle Sinne aufs Äußerste gespannt, zu meinem molino zu eilen. Das Herz schlug mir oft genug bis zum Hals, das Blut rauschte mir in den Ohren, Schauergeschichten hörte ich genug- in all der Zeit in Bs. As. aber war mir tatsächlich nie etwas geschehen.
Das Stiegenhaus war beinahe angsteinflößender, als die offene Straße. Ich konnte meine Hand nicht vor den Augen sehen, bis ich von einem Straßenverkäufer eine Minitaschenlampe kauft. Meine Mitbewohner bewunderten mich für diese Idee und hielten mich deswegen für sehr europäisch, ich mich maximal für praktisch. Ich war ziemlich traurig, als mir in Wien die Batterien in der Lampe ausgeronnen waren, behalten habe ich sie trotzdem. Als Erinnerung. Sie ist rot, so wie die Sportschuhe, die ich mir gleich in der ersten Woche kaufte. Wegen der Schlaglöcher in den Gehsteigen, ein verknackster Knöchel, das wäre in Bs. As. kein Vorteil gewesen.


Um mein molino ranken sich so einige Mythen. Ausgebrannt soll es sein und eine ganze Familie dabei ums Leben gebracht haben. Dann wieder und wieder die Geschichte, dass genau in unserer Wohnung Regimegegner der Militärdiktatur verhört worden waren und nicht nur das. Einer meiner Mitbewohner zeigte mir gleich am ersten Tag eine verspiegelte Wand und ja, dahinter ein schmaler Raum, der mit Sicherheit kein Kleiderschrank war. Dünne, weiße Kabel schlängelten sich über die Decken und Wände, verschwanden in ihnen und hingen lose herab. Ein Raum schalldicht, ein anderer mit Einschusslöchern in der Wand.


Mein Zimmer, das Wohnzimmer, mit einem Balkon auf den ich hinaustrat mit dem Wissen, dass er sich jederzeit unter meinen Füßen verabschieden konnte. Ich liebte es auf meiner grünen Plastikcouch, vollkommen bekleidet, eingewickelt in bunte Decken und mit Mütze auf dem Kopf den riesigen, im Morgenlicht glänzenden Ventilator auf dem nächsten Dach zu betrachten. Gleich einer Meditation ließ ich alle Gedanken kommen, hielt sie fest und ließ sie gehen und lauschte dabei den dumpfen Trommelschlägen- die von den Manifestationen zu mir herauf wehten. Die Balkontür hatte Risse, so breit, dass ich meine Fingerkuppe dazwischen hätte quätschen können, was ich aber unterließ, schließlich wollte ich die Situation nicht verschlimmern. Calefaccion gab es keine, ein echtes argentinisches Wohnzimmer eben. Übrigens holzgetäfelt und mit einem Parkett in Ornamenten gelegt.
Ohne genau zu wissen was es war, weiß ich es jetzt, es war ein Stück argentinische Geschichte dieser Ort, dieses mein molino und das spürte ich, verzauberte mich und nährte mich dort, wo ich es am nötigsten brauchte. In meiner Seele.


Man sagt, das Molino wäre am 0-Punkt der Stadt gebaut worden. Von diesem Punkt aus, strebt die Stadt nach Nord und Süd, West und Ost. Selbst wenn dies nicht der Wahrheit entspricht, könnte man glauben, es hätte mich dort zerrissen, stattdessen war ich wohl selten so sehr ich, wie an dieser Zero-Koordinate.


Neben den Milongas und dem Unterrichten ging ich öfter in das nächstgelegen Ballettstudio. Es gehört einem ganz großen Meister, und ja, ich habe seinen Namen vergessen, wahrscheinlich deshalb, weil ich dort vorallem auch tanzte um anschließend wohlig warm duschen zu können. Das Bad im Molino war zwar mit einem monströsen Durchlauferhitzer ausgestattet, aber bis zu meinem letzten Tag hatte ich den Dreh nicht raus dem Ding warmes Wasser zu entlocken, weswegen ich mich meist mit einem gewissen Vorfrösteln unter die Brause stellte. Dabei pflegte ich mir vorzustellen, dass die antike Therme explodiert und ich dabei in Stückchen gerissen werde. Ich sah einen meiner Augäpfel vorübersegeln und allerlei Verbrutzeltes umherfliegen. Meine Fantasie ist tatsächlich blühend, eine gute Voraussetzung um sich künstlerisch auszuleben. Manchmal stellte ich mir einen Strand mit Sonne und Meer- 40 Grad im Schatten- vor, Autosuggestion also, allerdings ergebnislos. Hatte ich erwähnt, dass ich im Winter in Bs. As. war?


Einige Tage und Nächte waren so kalt, dass die Wände in meinem Zimmer sich anfühlten als wären sie aus Eis. "La humedad te mata" heißt es von den Einheimischen und als meine Freundin Luz und ich die Treppen hinunterstiegen um zur Milonga zu fahren, wurde es mit jedem Schritt kälter. Die Wände schienen zu gefrieren, das metallene Geländer, die Stufen, alles klirrte vor Eiseskälte. Die Straßen waren damals beinahe leergefegt, die Milonga war es auf alle Fälle.


Mein Molino und ich, meine Freunde, mein Molino und ich, mein Tango, meine Freunde, mein Molino und ich, wir hatten eine großartige Zeit, voll Schatten der Vergangenheit und voll Licht. Pures Leben, atemlos, leicht gegeben, gierig verschlungen. In alle Poren gesogen, und alle Zellen damit ausgefüllt und jetzt? Nach einem Ende in Bs. As. ein Anfang in Wien. Mein Molino, deine Spuren in meinem Herzen setzen sich nun fort- wie sonst als im Tangorythmus.

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